18.11.08

Protokoll eines Freitagabends

Ein Abend wie dieser war längst überflüssig. Seitdem der Mediziner seinen Zivi angetreten hat, steht ihm eine schäbige, schlecht beleuchtete Einzimmerwohnung zur Verfügung, in einem Gebäude, in dem Notärzte während ihrer Bereitschaft herumhängen, in dem Zivis, die wirklich übel dran sind, tatsächlich wohnen, oder in dem sich hedonistische Gelegenheitsjunkies eben unglaubliche Kicks holen - die perfekte Location.

Die Vorzeichen dieses Abend ließen nichts gutes vermuten. Zwei kleine Restebeutel, die schon seit 15 Monaten in dunklen Schubladenecken vor sich hin gammeln, ein Stereo-Anlagen-Ersatz, bestehend aus PC-Lautsprechern und einem MP3-Player, welcher glücklicherweise mit wirklich cooler Musik und schirren Playlists beladen war und ist. Okay, so schlecht waren die Vorzeichen eigentlich doch nicht.

Jedenfalls besorgten wir uns vorher noch ein paar Kanister Grünen Tee, ein billiges Pringles-Plagiat und Milchbrötchen, die im Verlauf des Abends noch öfters zelebriert wurden.

Nach etwa neunzig Minuten, vier Songs, ein paar Flüchen und etlichen zerknüllten Papers ging der Spaß los. Wirre Stories; endlose Assoziationsketten; Lachflashs, die den Hirninnendruck in bedenkliche Höhen schießen lassen; Amerikanische Bomber, die Milchbrötchen über Deutschland abwerfen; absurd starker Harndrang und absurde Abwesenheit von Harndrang; Schatten im peripheren Blickfeld; das ungute Gefühl, als würde sich noch jemand im Raum befinden; Kriegsväter, die Milchbrötchen zu Elektrorasierern umfunktionieren und ihre Trümmerfrauen verdreschen; die Frage, wofür das "gh" in "Iso Light" stünde; totale Gedankenverlorenheit; Depersonalisation und Derealisation; kurze Blackouts. In mir keimte Panik und ich bekam Angst vor der Angst. Angst davor, sich auf Messers Schneide zu befinden, jeden Moment in einen dieser viel gefürchteten Horrortrips zu verfallen.
Als Kraftwerks "Roboter" begann aus den Lautsprechern zu piepsen, verfiel der Mediziner in eine dreißigminütige Trance, einen Zustand nie zuvor erlebter Entspannung - wie er mir im Nachhinein berichtete -, und begann etwas davon zu faseln, ein Fisch zu sein, im Wasser zu schwimmen. Ich beobachtete ihn, wie er direkt neben mir saß, den Kopf langsam und leicht hin- und her schwenkend. Ich stieg mit ein. Und so verbrachten wir quasi den Rest des Abends - zwei in nicht unerheblichem Maße zugedröhnte junge Männer mit ungewisser Zukunft, auf der Schwelle, sich einem bockschweren Studium auszuliefern und Freizeit für die nächsten 5-10 Jahre zu so etwas wie einem Werbespot in einem Blockbuster zu machen.
Die Pointe des Abends: Die Wohnungstür stand die ganze Zeit über speerangelweit offen. Laute Musik, unser dämliches Gelächter und Gefasel, der Dunst - for all mankind to see/smell/hear/was auch immer. Im Nachhinein lässt mir das die Paranoia noch viel schlimmer erscheinen.

Was es sonst neues gibt?
Irgendwie habe ich es durchgekriegt, ohne Studienplatz und mit Halbtagsjob weiterhin Kindergeld zu kriegen.
Heute Mittag habe ich das Elektronische Stabilitätsprogramm mal richtig ausgetestet.
Milchbrötchen für die Welt!

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hier spricht der Mediziner,

der oben nachzulesende Beitrag des beschriebenen Abends greift in geradezu erschreckender Art und Weise die subjektiv erlebte Realität der erwähnten Individuen auf. In zugleich abstrakter wie auch paradox einfühlsamer Geschicklichkeit vermag es der Autor Emotionen und physisches Empfinden der involvierten Milchbrötchenesser zu propagieren.
Für den Physiker erlebte Imponderabilien, wie die geistige Simulation eines dritten im Raume, werden nicht ,wie von redundanten Mainstreampopulisten oft propagierter Klatschschmalz geschildert, sondern nüchtern, geradezu stoisch wiedergegeben. Die völlige Suggestion bleibt somit nur dem Physiker und dem Mediziner vorbehalten und so bleibt nur abschießend zu sagen:“ Dei Muddaaaa!!!

Der Mediziner

00:31  

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